Wahrheit ist vorurteilsfreie Grundhaltung
Das Problem: Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen
Wahrheit zu sagen ist nur gegenüber demjenigen eine Pflicht, der ein Recht auf Wahrheit hat. Kant wendet sich 1797 in seiner vorletzten Veröffentlichung „Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen“ gegen Benjamin Constants Unterstellung, dass Wahrheit zu sagen eine Pflicht sei.
Kants kluge, kritische Philosophie zur Wahrheit fragt nach dem „Ob und Wie“ und ob überhaupt in jeder besonderen Situation die Wahrheit gesagt werden muss. Kants stellt fest „Es ist also ein heiliges, unbedingt gebietendes Vernunftgebot, nicht eingeschränkt zu sein und in allen Erklärungen wahrhaft (ehrlich) zu sein.” Es sieht also so aus, als ob Kant im Konfliktfall verlangt, auch zu lügen.
Max Weber spricht von Verantwortungsethik
Die konsequente Weiterentwicklung von Kants Ethik ist das, was Max Weber zuerst Verantwortungsethik nannte. Konsequente Ethik setzt ein vorurteilsfreies Wirklichkeitsverständnis als notwendiges Resultat einer Grundhaltung voraus. Die letzten Prinzipien sind rechenschaftspflichtig. Kant war noch nicht vorurteilslos genug!
Wahrheiten sind zu verantwortende Themen
- Moral bricht Recht, muss dabei Verantwortung und rechtliche Konsequenzen tragen.
- Ethos bricht Moral, muss dafür die Ausgrenzung aus der Gemeinschaft riskieren.
- Angesichts unübersehbarer Folgen und Nebenfolgen mahnt Kant zur Klugheit, auch wenn es den augenblicklich drängendsten ethischen Impulsen widerspricht. Der Kategorische Imperativ kann auch gegen das eigene Gewissen sein Veto erheben.
Der kategorische Imperativ ist nach Kant keine inhaltliche Norm. Sie sagt nicht, was zu tun wäre, sondern sie ist ein Kriterium zur Prüfung von Handlungen und Normen nach ihrem ethischen Wert.
Der Geist von Kants kritischer praktischer Philosophie erhebt zum ersten Mal im Abendland Verantwortung zum Prinzip des Sollens, ohne es beim Namen zu nennen. Den Preis dafür hat der alte Kant bezahlt. Nach Abschluss der „Kritik der Urteilskraft“ sagt er ausdrücklich: “Das Publikum möge sich mit dem bevorstehenden Programmwechsel vertraut machen.”
Kant schließt dies Thema mit der Bemerkung:
„Hiermit endige ich also mein ganzes kritisches Geschäft. Ich werde unverzüglich zum doktrinären schreiten.“ Er bejubelt die Französische Revolution. Er weiß, dass es kein Recht auf Revolution geben kann. Moralische Prinzipien eines nötigen Widerstandsrechtes sind selbst ins Recht aufzunehmen. Im Namen der Kritischen Philosophie das zuzulassen, hat der Kant seiner Zeit nicht mehr zugelassen. Dazu war die transzendente Begriffsbasis in der bloßen Subjekt-Objekt-Beziehung noch nicht weit genug!
Zusammenfassung
Wenn wir heute Kants Begriffsbasis in den denkbaren Horizont von Wirklichkeit stellen, können wir die Paradoxien auflösen und zugleich ihren kritischen Gehalt würdigen. Zu Kants Gunsten fällt die große Herausforderung durch die späteren Gegner aus, etwa durch Hegel oder Heidegger. So wie Newtons Mechanik im Bereich des Sonnensystems immer noch gültig ist, hat Einstein gezeigt, dass sie am kosmischen Maßstab gemessen zu Widersprüchen führt. So ist Kants transzendentale Erkenntnistheorie auch heute noch fruchtbar. Wenn sie am Horizont der Erkenntnis gemessen wird, ist sie ein Phänomen der Wirklichkeit. Spätere Urheber verleiten ihn erst später zu doktrinärem Streben nach zeitbedingten, rationalistisch-einseitigen und deshalb praktisch unvernünftigen Trennungen.