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Begegnungen mit Konrad Adenauer

Geschichte der CDU

Ein Spätherbst-Abend des Jahres 1946

17.09.1963, von Erik Blumenfeld, Hamburger Kaufmann, Landesvorsitzender der CDU, seit 1961 Mitglied des Bundestages. Aus: DER SPIEGEL

Das politische Leben im zerstörten Deutschland hatte begonnen, die ersten tastenden Schritte zu vollziehen. Die aus freien Wahlen hervorgegangen Parlamente begannen ihre Arbeit. Wir CDU Politiker hatten einen schweren Stand. Die SPD blickte in Hamburg auf eine lange, beinahe ununterbrochene Tradition zurück und stellte eine kriegsstarke Kompanie erfahrener Politiker. Umso größer war unsere Freude, den Kölner Oberbürgermeister und CDU Vorsitzenden der britischen Zone zu hören und mit ihm über den Weg unserer Partei in die ungewisse politische Zukunft zu diskutieren.

Konrad Adenauer kam, hochaufgerichtet, in einem alten, hochbeinigen Horch, eine dünne Aktentasche in der Hand. Er sprach lange, eindringlich ohne Pathos, entwarf ein Bild der außenpolitischen Kräfte und von Deutschlands zukünftiger Position. Kerzengerade, wie er gekommen, trat der damals 71-Järige nach mehrstündiger Rede und Diskussion hinaus in die Herbstnacht und fuhr zu einer weiteren Aussprache mit seinen politischen Freunden hinüber ins nachbarliche Schleswig-Holstein. Ein Bürger, wie jeder andere? Aber ein Mann mit einer politischen Mission, von unbeirrbarer Festigkeit, Zähigkeit und imponierender Haltung.

Mai 1948 Europa Kongress in Den Hag

Wir Deutschen, zum ersten Mal auf internationaler Bühne nach Kriegsende. An der Spitze der deutschen Delegation noch Karl Arnold und Rudolf Petersen. Konrad Adenauer sitzt im Hintergrund des düsteren Ridderzaal, beobachtend, nachdenklich, zuhörend während der große alte Mann Englands, der siegreiche Kriegspremier und Oppositionsführer, zu den Europäern spricht und begeistert gefeiert wird. Später am Abend fand die erste Begegnung Churchill / Adenauer in einem separaten Raum statt. Adenauers politische Mission begann, Konturen anzunehmen.

Oktober 1949 in Hamburg

Der schwarze Horch aus Bonn steuert zur Alster. Konrad Adenauer im Fond, liest Depeschen und Akten. Vor wenigen Wochen ist er mit einer Stimme Mehrheit zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschlands gewählt worden. Wieder befindet er sich mitten im Wahlkampf. Hamburg bestellt seine Bürgerschaft. Angriff ist von nun an Adenauers Lebenselixier und wird seine Partei mitreißen zu großen Erfolgen, die deutsche Bürger, das Ausland, in immer größere Bewunderung und Erstaunen versetzen und die politischen Gegner zu mehr als einem Jahrzehnt machtpolitischer Abstinenz verurteilen.

Kaum Aufhebens wird von seiner Ankunft gemacht. Zwei Polizisten patrollieren gemächlich vor dem Haus des damaligen CDU Fraktionschefs, Senator Chapeaurouge. Einige Passanten bleiben stehen und blicken höflich und neugierig der hoch aufgewachsenen Gestalt nach, die gemessenen Schrittes, aber mit jugendlicher Elastizität zum Eingang emporstieg.

„Wer ist das?“ „Der neue Bundeskanzler!“ „Wie heißt er?“ „Adenauer!“ Adenauer aber völlig unbeeinflusst von Gunst und Laune des Publikums, konferiert bis in die späte Nacht, um am nächsten Morgen frisch wie immer seinen wohl bedeutendsten politischen Gegner, den SPD Führer Schumacher, in einer Großkundgebung mit großer Härte anzugreifen.

1952, drei Jahre später Wahlkampf-Atmosphäre in Hamburg

Konrad Adenauer dieses Mal im Mittelpunkt des Geschehens. Wenige Monate vorher war der deutsche Bundeskanzler zum ersten Mal in USA gewesen und bei seiner Rückkehr begeistert empfangen worden. Jetzt kannte ihn jeder. „Hallo Conny!“, riefen und winkten Hamburgs Hafen- und Werftarbeiter, im allgemeinen keine Christdemokraten, ihm zu, als er ihre Arbeitsstätten durchquerte.

Abends feiern 30.000 in der großen Halle der Stadt den 77-jährigen Kanzler, als er Deutschlands Politik der nächsten Jahre entwickelt, die Rückgewinnung des Weltvertrauens, die unbedingte Vertragstreue und Verpflichtung Deutschlands zu Partnern.

Auf der Rückfahrt löst sich das Gespräch von der Gegenwart und kehrt zurück zu Nazizeit und Hafterlebnissen. „Die vollkommene Einsamkeit während der Haft hat mich ungemein gestärkt.“ Dieses Wort des Kanzlers ist mir im Gedächtnis geblieben als eine der Erklärungen für seine große Distanz und Einsamkeit. Engste Freunde wissen darüber viel zu erzählen.

Aber er kann auch anders

1954 fand der erste und letzte Staatsbesuch des Bundeskanzlers in Hamburg statt. Am Vorabend des Überseetages gab der Senat ein Gala-Diner. Nun ist Adenauer bekannt dafür, dass er ein ebenso vorzüglicher Weinkenner wie trinkfest ist und in dieser Atmosphäre besonders die politische leichte Gangart, auch Frozzelei genannt, liebt.  Hamburgs Senat bekam gegen Mitternacht zu hören, dass es wohl noch bessere Flaschen im Keller geben müsse.

Sie wurden prompt gefunden. Adenauer hatte es sich in den Kopf gesetzt, mit diesen schweren, edlen Gewächsen seinen alten Gegenspieler, Vicepräsis im Parlamentarischen Rat, den um ein Jahr älteren SPD Bürgerschaftspräsidenten Schönfelder – auch ein solider, standfester Weinkenner – im wahrsten Sinne unter den Tisch zu trinken. Gegen drei Uhr morgens war das Werk vollbracht. Schönfelder streckte die Waffen (wir anderen auch) und der Bundekanzler schritt hochbefriedigt beschwingten Schrittes aus dem Rathaus in sein Nachtquartier.

Der folgende Morgen, ein strahlender Maitag, sah einen überaus gut gelaunten Kanzler eine seiner besten Stehgreifreden als Festvortrag des Überseetages halten. Der vorbereitete Text entglitt ihm ständig, vielleicht war es die Folge der Ratskeller-Proben. Aber dieses ahnten nur wenige und so genau konnten auch sie sich nicht mehr erinnern.

Siehe auch: Bundestag 1957